Tuesday, 25.10.2022

Inkarnation

von Melanie Aue

Vi­el­leicht ge­hört das zu den größ­ten Rät­seln un­se­rer Er­den­le­bens: 

Wie kommt un­se­re Seele in den Kör­per?
Und wann? Die Wel­t­an­schau­ung nach Ru­dolph Stei­ner bie­tet dar­auf Ant­wor­ten. Aber auch sehr emp­find­sa­me und sich­ti­ge Men­schen be­rich­ten von ihren Wahr­neh­mun­gen.

Das schwei­ze­ri­sche Me­di­um Pas­cal Vog­gen­hu­ber be­rich­tet in einem sei­ner Bü­cher* von Ener­gie­ku­geln, die er in der Aura an der lin­ken Schul­ter der zu­künf­ti­gen Mut­ter wahr­neh­men kann. Und das be­reits Mo­na­te vor einer Schwan­ger­schaft.

Foto: astro­no­my Char­lVe­ra by pi­xa­bay; thanks:)

Ihm zu­fol­ge ist es eine zu in­kar­nie­ren­de Seele, die sich ihm als Me­di­um als strah­len­de Licht­ku­gel zeigt. Es scheint ihm, als prüfe die Seele, ob sie wäh­rend des Er­den­le­bens als Kind die­ser El­tern genau die­je­ni­gen Le­bens­er­fah­run­gen ma­chen kann, die sie für ihre Wei­ter­ent­wick­lung und Rei­fung be­nö­tigt. Diese Ener­gie­ku­gel nimmt Pas­cal Vog­gen­hu­ber aber nicht nur vor der Emp­fäng­nis, son­dern auch in der be­ste­hen­den Schwan­ger­schaft in der Aura der Mut­ter wahr. Je­doch bil­det sich nach der Emp­fäng­nis eine klei­ne ener­ge­ti­sche Ver­bin­dung, die wie eine leuch­ten­de Na­bel­schnur er­scheint, zwi­schen der Ener­gie­ku­gel und dem Baby im Bauch der Mut­ter. Erst nach der Ge­burt, manch­mal sogar erst ei­ni­ge Tage nach der Ge­burt, ver­bin­det sich die Ener­gie­ku­gel mit dem Baby vollends.
Eine hell­sich­ti­ge Pa­ti­en­tin von mir be­rich­te­te, sie könne eine Seele vor der Emp­fäng­nis an­hand einer Licht­ku­gel an den Füßen der Mut­ter wahr­neh­men. Das ist in­ter­essant. Vi­el­leicht nimmt jede hell­sich­ti­ge Per­son die Ener­gie an­ders wahr.

Auch Rü­di­ger Dahl­ke, Arzt und Psy­cho­the­ra­peut, hat in sei­ner Ar­beit mit Pa­ti­en­tin­nen fest­stel­len kön­nen, dass die Seele schon vor einer Emp­fäng­nis an­we­send ist. Auch er geht davon aus, dass sich das Baby seine El­tern aus­sucht: nach genau den Er­fah­run­gen, die es mit die­sen El­tern und in die­ser Um­ge­bung ma­chen darf.**

Und tat­säch­lich deckt sich diese Theo­rie mit Über­lie­fe­run­gen in öst­li­chen Kul­tu­ren. Ich sel­ber ver­mag die Seele vor der Ge­burt nicht zu emp­fin­den, blei­be aber mit Freu­de offen für Wahr­neh­mun­gen die­ser Art. 

Die Seele und ihre In­kar­na­ti­on in der Chi­ne­si­schen Me­di­zin

In der Chi­ne­si­schen Me­di­zin ist die Sicht­wei­se auf die see­li­schen und geis­ti­gen Aspek­te eine etwas an­de­re. Bei der Ver­schmel­zung von Ei­zel­le und Samen ver­ei­ni­gen sich die müt­ter­li­che und vä­ter­li­che Es­senz und bil­den den Geist und damit die spi­ri­tu­el­le Achse, so steht es in den chi­ne­si­schen Schrif­ten ge­schrie­ben. 

Nach einer alten scha­ma­ni­sche Lehre gibt es fünf See­len­an­tei­le, auch Organ-See­len ge­nannt. Und der Scha­ma­nis­mus ist der Ur­sprung der Chi­ne­si­schen Me­di­zin. Der Ein­zug der See­len­an­tei­le fin­det da­nach zu un­ter­schied­li­chen Zeit­punk­ten zwi­schen der Emp­fäng­nis und der Ge­burt über be­stimm­te Aku­punk­tur­punk­te statt. Die An­tei­le be­see­len und be­glei­ten den Men­schen dann sein gan­zes Leben lang. Zum Teil wer­den die Organ-See­len von den El­tern an das Kind ver­erbt. Zum Teil sind es ewige, un­s­terb­li­che An­tei­le. Dem­nach be­deu­tet 'Seele' in der Chi­ne­si­schen Me­di­zin eine Ver­flech­tung fünf ein­zel­ner Organ-See­len, die jede einen an­de­ren Seins-Aspekt be­schreibt. Zu­sam­men bil­den sie den großen Geist 'Shen'.

Durch Shen er­hält der Mensch be­reits bei der Be­fruch­tung seine Ein­wei­hung zu sei­nem himm­li­schen See­len­weg für die In­kar­na­ti­on. Die­ser See­len­weg ist wie ein himm­li­scher Auf­trag, wie ein mög­li­cher ir­di­scher Weg, um be­stimm­te Er­fah­run­gen und Ent­wick­lungs­pro­zes­se des See­len­le­bens zu durch­lau­fen. Und dafür er­hält der Mensch Fä­hig­kei­ten des In­tel­lekts, ur­ei­ge­ne Po­ten­zia­le und Schöp­funs­kräf­te. Shen ent­spricht un­se­rer wah­ren und ab­so­lu­ten Natur, dem wah­ren und ab­so­lu­ten Po­ten­zi­al. Shen steht für die Ein­stel­lung zum Leben, für die Krea­ti­vi­tät, für In­spi­ra­ti­on, für Ver­stand, Be­wusst­sein, Em­pa­thie, Wahr­neh­mung und die Ver­knüp­fung von Emo­tio­nen. Auch die Er­fah­run­gen, die wäh­rend des Le­bens er­wor­ben wer­den sowie die Weis­heit, die damit rei­fen darf, sind ein Teil des Shen. Shen macht aus dem Men­schen ein In­di­vi­du­um. Er steht für das Be­wusst­sein, für be­wuss­tes Mensch-Sein. Er zeigt sich den Men­schen nach außen hin in des­sen Auss­trah­lung, im Strah­len der Augen und in der Le­bens­freu­de. 

Die Wahr­neh­mun­gen Ru­dolf Stei­ners

Wäh­rend die Pla­zen­ta in sich alle Or­gan­funk­tio­nen be­her­bergt, die das Baby noch nicht selb­stän­dig über­neh­men kann, ver­sor­gen und schüt­zen die Na­bel­schnur und das Frucht­was­ser das Baby wäh­rend sei­ner Zeit im Bauch der Mut­ter. Diese drei über­aus wich­ti­gen Schwan­ger­schafts-Ge­we­be, die sich spe­zi­ell für die Ver­sor­gung des Babys in der Schwan­ger­schaft ent­wi­ckeln, ent­hal­ten nach Lehre Ru­dolph Stei­ners je­doch nicht nur kör­per­li­che Funk­tio­nen, son­dern auch im­ma­te­ri­el­le An­tei­le: den Geist, die Seele und die Le­bens­kraft. Und damit er­mög­li­chen sie Le­ben­spro­zes­se. Wäh­rend der gan­zen Schwan­ger­schaft ist der kind­li­che Kör­per dem­nach noch von den im­ma­te­ri­el­len An­tei­len, die Stei­ner 'We­sen­glie­der' nennt, ge­trennt. Erst zum Zeit­punkt der Ge­burt gehen diese We­sens­glie­der kom­plett auf das Baby über, wäh­rend deren Be­hau­sun­gen ab­ster­ben.

Zahl­rei­che Ab­bil­dun­gen an­ti­ker Kul­tu­ren zeu­gen von ri­tu­el­len Nach­ge­burts­be­stat­tun­gen, die den Be­hau­sun­gen von Le­bens­kraft, Seele und Geist Ehre zol­len.
Ich emp­fin­de das als eine große Wert­schät­zung an die Schöp­fung.
Wie wun­der­bar wäre es, wenn auch heut­zu­ta­ge un­se­re Kli­ni­ken die Nach­ge­burts­or­ga­ne wür­di­gend und nicht wie Müll be­han­deln wür­den?

Li­te­ra­tur: 
ei­­ge­­ne Auf­­zeich­­nun­­gen aus Se­­mi­na­ren von Bir­­git Krie­­ner und For­t­­bil­­dun­­gen 
Bar­tho­lo­­meus Maris, Frau­en­heil­­kun­­de und Ge­­burts­hil­­fe, ISBN 978-3-928014260; sa­lu­­med Ver­lag
* Pas­cal Vog­gen­hu­ber; Kin­der in der geis­ti­gen Welt; ISBN 978 3905958324, S. 3
** Mar­git und Rü­di­ger Dahl­ke, Vol­ker Zahn; Frau­en Heil-Kunde; ISBN 3-570-00288-8, S.207ff.